Die Weinlese
DER OPTIMALE LESEZEITPUNKT
Die Weinlese, auch Traubenlese oder einfach Herbst benannt, ist Höhepunkt und Abschluss des Vegetationsjahres im Weinberg. Als Tätigkeit umfasst sie das Abschneiden (Abschütteln) der reifen Trauben, den Transport zur Weiterverarbeitung und eben diese. Die romantischen Vorstellungen aus Poesie und Prosa sind in der Praxis eher schwerer körperlicher Arbeit, vielfältiger, exakter Planung und hoher Anspannung gewichen. Fehler oder Unterlassungen bei der Lese haften dem Wein über die gesamte Entwicklung an.
Der kritischste Aspekt hierbei ist der Lesezeitpunkt. Da geerntete Trauben im Gegensatz zu Äpfeln, Bananen etc. in keiner Weise nachreifen, ist die Bestimmung des Lesetermins für uns Winzer die maximale Eingriffsmöglichkeit auf die Güte und Eigenart eines Jahrgangs. Gesundheitszustand, meteorologische Situation, Zahl der Erntehelfer, Traubenreife - sowohl Mostgewicht als auch physiologische Reife - gewünschter Weintyp, Verarbeitungskapazitäten, all dies sind Parameter für die Festlegung des Erntezeitpunktes.
Wichtigste Bezugsgröße für den Lesetermin genau wie für die generelle Einschätzung der Jahrgangsqualität ist die Traubenreife. Viele Weinliebhaber, aber auch Winzer, denken hierbei zunächst an das Mostgewicht = ° Oechsle, welcher bei weitem nicht der einzige aber einer der wichtigsten und am einfachsten zu bestimmende Aspekt der Reife darstellt. Zur Messung entnimmt man in 3-5 tägigem Rhythmus 200 Beeren aus dem Weinberg, presst diese aus und untersucht den Saft. Gleichzeitig kann auch eine Bestimmung der Säure vorgenommen werden. Mit steigendem Zuckergehalt sinken die Säurewerte, durch Veratmung oder Bindung an Kalium und Calcium sowie durch Verdünnung beim Ansteigen des Beerengewichtes. Der Säurehöhepunkt liegt meist im August bei 36 g/l und fällt je nach Jahrgang Mitte bis Ende Oktober auf unter 10 g/l. Gleichzeitig steigen die Mostgewichte im selben Zeitraum von 20° Oechsle auf 90° - hier spricht man von Vollreife - und darüber. Das endgültige Niveau ist jahrgangsabhängig. Wichtig ist, dass bei zunehmender Reife auch andere Inhaltsstoffe sich verändern. Bedeutend für die Weinqualität sind die Ausbildung und Gehalte an Aminosäuren, Proteinen, Gerbstoffen etc., Faktoren, welche messtechnisch nur mangelhaft zu erfassen sind. Hinzu kommen Entwicklung des Fruchtfleischs, der Beerenhaut, des Fruchtgeschmacks und der Phenole, die man geschmacklich ergründen kann.
Die Schnellmethoden, die uns zur Reifemessung zur Verfügung stehen, sind also auf regelmäßige Traubenproben (Säure- und Mostgewichtsbestimmung), Augenschein (Beerenfarbe) und Geschmack begrenzt. Im Weingut Dr. Crusius entnehmen wir in der Regel ab Mitte September 2 x pro Woche Beerenproben in den Weinbergen, die wir für den Reifeverlauf als charakteristisch einschätzen. Ab Mitte Oktober unterstützen die ersten Ernteergebnisse die Einschätzung aus der Probenentnahme.
Die Weinberge stehen also spätestens ab Mitte September unter intensivster Überwachung. Hierbei wird auch das Vorhandensein des Botrytispilzes beurteilt. Der Botrytispilz befällt die Beerenhaut und das Fruchtfleisch. Trockene Witterung lässt die Beeren einschrumpfen, die Inhaltsstoffe konzentrieren sich, die Mostgewichte steigen. Ein Hinauszögern der Lese kann zu Beerenauslesen führen. Starker Regen oder Dauerniederschlag führen dagegen zur Auslaugung der befallenen Trauben. Eine schnelle Ernte ist dann entscheidend. Weitere Faktoren für den Erntezeitpunkt sind Meteorologie und Jahreszeit. Schönwetterperioden im Oktober sind das, was wir Winzer benötigen, via Wettervorhersage herbeisehnen und durch Ernteaktivitäten oder Zuwarten optimal auszunutzen versuchen. Kein Wunder also, dass ein „Goldener Oktober" uns glücklich macht. Die gewünschte Weinqualität im jeweiligen Weingut ist ebenfalls wichtig für den Erntezeitpunkt. Trockene Weine erfordern reife, gesunde Trauben, für Sektgrundweine sind säurebetonte Moste aus ebenfalls gesundem Lesegut nötig, Auslesen oder gar (Trocken-) Beerenauslesen basieren auf Edelfäule und langem Zuwarten, Eisweine auf mindestens - 8°C etc.
HANDLESE VS. VOLLERNTER
Die Lese mit dem Vollernter ist in Deutschland auf fast 80% der Rebflächen üblich. Wir halten für unseren Qualitätsstandard diese Methode für nicht befriedigend: das Traubengut wird zu stark mechanisch beeinträchtigt und eine Selektion kann nicht stattfinden. Daher erfolgt die Ernte in unserem Weingut ausschließlich per Hand. Dazu wird als Lesemannschaft, neben der Familie und den ständigen Mitarbeitern, eine Crew von Lesern aus der näheren Umgebung und meist polnischen oder rumänischen Erntehelfern zusammengestellt. Letztere müssen mindestens 3 Monate vorher via örtliches Arbeitsamt eingeladen werden und reisen unmittelbar vor Erntebeginn an. In der Regel helfen sie jedes Jahr bei der Lese mit und haben daher schon fast Familienanschluss. Die optimale Lesemannschaft in unserem Betrieb besteht aus ca. 15 Personen. Morgens um 8.00 Uhr wird mit der Ernte begonnen und dauert mit einer kurzen Mittagspause bis ca. 17.00 Uhr. Arbeitsvorbereitungen am Morgen und die schnelle Traubenverarbeitung am Abend erhöhen die Arbeitszeiten für Chef und Helfer auf 12-14 Stunden täglich. Bei günstigem Witterungsverlauf nutzen wir die Wochenenden als Ruhephasen bzw. zur Generalreinigung, Filtration und weitern Planung. Drohen Wetterumschwung oder Regentage während der Woche, bedeutet dies, dass auch Samstags und Sonntags Trauben geerntet werden müssen.
DIE LESEABFOLGE
Die Lese beginnt mit Müller-Thurgau und Auxerrois, setzt sich mit den Burgundersorten fort und findet mit der Hauptrebsorte Riesling ihren Höhepunkt. Man unterscheidet Vor-, Haupt- und Spätlese sowie Auslese und Eisweingewinnung.
Bei der Vorlese werden in unserem Weingut sauerfaule oder stielkranke Trauben, die eine mindere Qualität aufweisen, abgeschnitten und verworfen. Die Hauptlese beginnt, wenn der Reifezeitpunkt als optimal für die Gewinnung von Qualitäts- und ersten Prädikatsweinen ist. Es werden hierbei in den Standardweinbergen alle Trauben abgeschnitten. Um eine vollkommenere Ausreifung der Trauben in den guten bis besten Lagen abzuwarten, zögert man die Lese noch hinaus, so dass mit fortschreitender Reife die Wahrscheinlichkeit hoher Mostgewichte steigt. Die Gewinnung von Spätlesen ist hier das Ziel. Auslesen erhält man durch Aussortieren hochreifer und/oder edelfauler Trauben aus besten Lagen in sehr guten Jahrgängen. Mehrere Arbeitsgänge können hier nötig werden, um geeignete Trauben oder Traubenteile entsprechend zu selektionieren. Lesen wir besonders hochwertige, edelfaule, überreife Beeren bester Lage aus, zielen wir auf eine Beerenauslese ab. Diese sind in unserem Gut an die Kombination bester Lagen, Spitzenjahrgang und Auftreten von Botrytis gekoppelt und sind selbst dann ein sehr mühsames Geschäft; die Selektion erstreckt sich meistens über mehrere Tage. Sind die edelfaulen Beeren bereits rosinenartig eingeschrumpft, könnte die Gewinnung einer Trockenbeerenauslese möglich sein. Wir waren hier nur in unserem Paradejahrgang 1994 erfolgreich; im „normalen Spitzenjahr" ist dies unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kaum erreichbar, denn die Herstellungskosten stehen in keinem Verhältnis zu Preis und Menge.
Die Eisweinlese ist das Roulettespiel des Winzers und der absolute Ernteschluss. Für Eiswein benötigt man zum Ende der Normallese einen Weinberg mit möglichst gesunden Trauben und gutem Ertragsniveau. Dieser wird mit Folie in der Traubenzone gegen Vogelfraß und Außeneinwirkung geschützt. Ab -8° C schreitet man früh morgens zwischen 6.00 und 8.00 Uhr zur Ernte und presst anschließend die tiefgefrorenen Trauben aus, so dass der flüssige, hochkonzentrierte Restsaft der Beere abläuft. Je früher der Frost kommt, desto fruchtiger, reintöniger und höher in der Menge ist der entsprechende Eiswein. Januar-Eisweine können durch Bakterien- und Pilzbefall von minderer Reinheit und niedrigem Säuregehalt sein.
Im Weingut ergibt sich im Laufe der Jahre eine gewisse Reihenfolge in der Ernte der einzelnen Weinberge. Diese wird jedoch durch tägliche Kontrolle im Herbst stets überprüft und immer wieder neu eingruppiert, um das Optimum für unser Weingut in qualitativer Hinsicht zu realisieren. Es ist aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren eine Zeit der Anspannung, aber auch durch die verschiedenen Erfolgserlebnisse eine glückliche Zeit im Weingut.
Kein Wunder, dass das Fest zum Herbstabschluss - meist gegen Mitte November - ein heftiges Ereignis wird. Das sogenannte Stockfest versammelt noch einmal alle Erntehelfer in feucht-fröhlicher Runde, denn man hat in den vergangenen Wochen doch unter oft nicht einfachen Bedingungen ein hartes Stück Arbeit hinter sich gebracht.
Der Herbst oder die Weinernte ist zwar eine sehr intensive Zeit in Weinberg, Kelterhaus und Keller, jedoch gleichzeitig eine erlebnisreiche, spannende Angelegenheit, auf die wir ein Jahr hinarbeiten. Das Weingut sprüht vor Aktivität und interessanten Einblicken, die Natur präsentiert sich in prächtige Farben, die Trauben und der Federweißer schmecken hervorragend - warum also nicht einmal eine Besuch in unserem Weingut oder einen Kurzurlaub an der Nahe einplanen. Wir garantieren Ihnen einen umfassenden Einblick in den Höhepunkt des Winzerjahres.